Die Kuh macht MUHHH – und was machst Du? Oder: Von Milchmischerzeugnissen mit Flecken und Müttern in der Bredouille

KuhfellDas Kind und ich streifen gemeinsam durch den Supermarkt um die Ecke, um noch ein paar Teilchen für´s Abendessen einzukaufen. Was für ein gemütlicher und harmonischer Mama-Sohn-Einkauf ohne Stress und Zeitdruck! Ich trage den Korb, das Kind hüpft durch die Gegend, es ist bisher noch nichts irgendwo heruntergefallen/ umgekippt/ zerschmettert/ zusammengebrochen – und mir kommt kurz der Gedanke, warum es nicht einfach immer so sein kann.

Wir biegen um eine Regalecke und kommen zu den Kühlschränken mit den Milchprodukten. Während ich mir luxuriös viel Zeit bei der Käseauswahl lasse und angelegentlich mit einem Camembert liebäugele, quietscht es plötzlich laut neben mir und mein 6-Jähriger Sprössling setzt sich pfeilschnell in Bewegung. Verdaddert gucke ich ihm hinterher. Da steht er, presst sein Gesicht an eine Kühlschrankscheibe und sagt in diesem gewissen Baby-Leierton, der mich immer sehr verlässlich in 5 Sekunden auf die Palme bringt: „Maaamaaaaaaa, kannich Paulaaaaaaaa?” WAS? WIE? MOMENT? Woher kennt er denn Paula, diesen Pudding? Unser Sohn frequentiert selbstverständlich keine Fernsehsender mit Kinderprogramm und Werbung. Bei uns geht nur KIKA – garantiert werbefrei und (hoffentlich) pädagogisch wertvoll. Hm. Egal. Später. Schnell schlüpfe ich aus der Rolle Frau mit viel Zeit beim Einkaufen in das übliche Drehbuch Mutter in Erziehungssituation und sage im freundlich-warmen, aber bestimmten Ton: „Nein mein Schatz, sowas kaufen wir nicht.” Er gibt keine Ruhe. Natürlich nicht – das wäre ja auch zu einfach. In der Regel braucht es drei bis vier Durchgänge von „Darf-ich-nein-das-kaufen-wir-nicht” (der letzte dann in einem gewissen, scharfen Ton meinerseits), um die Situation final zu klären.

Aber jetzt dreht er richtig auf „Bitttteeeeeeeeee, bittteeeeeeeeeee, BITTE, BITTEEEEE, BITTEEEEEE!” Dazu zerrt er an meiner Jacke. Ich schließe kurz die Augen und warte auf die unvermeidliche alte Dame, die immer in solchen Situationen auftaucht, dem Kind über den Kopf streichelt und dann den einen Satz sagt, der alle Bemühungen sofort zu Nichte macht: „Ach, so einem süßen Jungen kauft seine Mami doch bestimmt gern das Kaugummi/ die Schokolade/ das Industrieprodukt voller Zucker und Schrott.” Das einzige, was ich in diesen Momenten wirklich kaufen möchte, ist eine scharfe Handgranate. Allerdings scheint dieses Mal keine Einmischung von aussen aufzutauchen.

Außerdem hat das Zerren an meiner Jacke aufgehört. Das ist verdächtig. Ich öffne die Augen und spähe kurz in alle Richtungen. Wie ich sehe, sind wir gerade dabei, die Aufmerksamkeit der Umstehenden auf uns zu ziehen. Warum interessieren sich nur immer alle Leute so wahnsinnig für Mutter/Vater-Kind-Situationen? Ich scanne kurz die Zuschauerschaft. Alter (sehr jung oder 50+), Bekleidung (fleckenlos), Handtaschengröße (winzig-klein oder riesig und teuer) und Absatzhöhe (über 5 cm) signalisieren zuverlässig: Alles Kinderlose. Ach, verdammt. Während man von Eltern in der Regel auf ein mitleidiges oder aufmunterndes Lächeln hoffen darf, erwarten Kinderlose immer ein besonders hartes Durchgreifen. Da stehen sie also und gucken uns an.

In dieser Sekunde beginnt mein Sohn, aus vollem Halse den gesamten Paula-der-Pudding-mit-den-Flecken-TV-Spot in verteilten Rollen zu RAPPEN. Und es sieht nicht so aus, als wolle er damit so schnell wieder aufhören. Er kennt nämlich den gesamten Text, Wort für Wort. Stolz und besonders laut performt er sogar den Abbinder „Paula – von Dr. Oetker”. ORIGINALGETREU. Ich fange an zu schwitzen. Die Mienen unserer Zuschauer haben sich deutlich verfinstert. Die finden das nicht lustig, sondern hochgradig bedenklich. Immerhin leben wir in einem bildungsnahen Viertel. Sie taxieren mich und beurteilen jeden Zentimeter an mir. Bin ich etwa so eine, die ihr unerzogenes Balg die ganze Zeit vor dem Fernseher parkt? Und dann noch den ganzen Tag mit Zucker vollstopft? Wahrscheinlich hat das Kind auch nur faule Zähne im Mund. Sie warten auf eine Reaktion von mir … die Geräusche verstummen … ich habe alle Blicke. Eine Ewigkeit vergeht.

„Kennst Du denn auch die Zutatenliste?” frage in die Stille hinein meinen Sohn. Und rappe dann fröhlich drauflos: „Diverse Zuckersorten, modifizierte Stärke, Verdickungsmittel, Farbstoffe und Aromastoffe, yeah!” Mein Sohn guckt mit offenen Mund und der gutaussehende Mit-Zwanziger am Käseregal applaudiert sogar. Die Mienen sind schlagartig freundlich und die Menge zerstreut sich. Ich würde sagen, die Runde geht an mich.

„Komm mein Schatz, wir gehen weiter und verlassen diese Abteilung des Grauens”, sage ich nonchalant zu meinem Sohn. Der lässt sich auch willig um die Ecke schieben. Und dann sagt er – und ich höre das Grinsen in seiner Stimme – „Mama, da ist schon die nächste Abteilung des Grauens …”. Ich hebe den Blick und sehe die Chipsregale.