Goldneun Berlin Restaurantkritik #gourmetguerilla

GourmetGuerilla unterwegs: Das GOLDNEUN in Berlin. Irgendwie … anders.

Goldneun Berlin Restaurantkritik #gourmetguerillaWar´s gut? Aber ja. Aber nein. Aber ja. Aber nochmal von Anfang an: Es gibt Restaurants, die ich großartig finde. Es gibt Restaurants, die ich fürchterlich finde. Und es gibt das GOLDNEUN in Berlin – direkt unter dem Fernsehturm. Im Rahmen der Fashionweek hatte ich das Vergnügen, nach den Schauen in das Restaurant eingeladen zu werden. Ich überlege bis heute, wie ich es denn nun eigentlich fand. Versteht mich bitte nicht falsch: Das ganze ist natürlich Jammern auf hohem Niveau. Aber ich kann mich an kein Restaurant erinnern, das mich so nachhaltig irritiert hat.

IRRITATION NO. 1:
Die Location an sich ist schon so richtig Berlin. Der Shuttlefahrer hat Schwierigkeiten, das ganze zu finden und setzt uns in ungefährer Nähe der Hausnummer ab. Gott sei Dank weist uns dann ein mit Kreide bemalter Klapp-Aufsteller den richtigen Weg. Man betritt einen sehr zweckmäßig aussehenden, etwas heruntergekommenen Betonbau an einer Hauptverkehrsstrasse.

Funkturm_Berlin Goldneun_Eingang

Das Entrée erinnert an ein leergeräumtes Möbelhaus. Wir steigen eine Treppe nach oben und stehen in einem riesigen, dunklen Raum. Riesig. Wirklich. In der Ferne erkenne ich undeutlich Tischtennisplatten. Tischtennisplatten? Eine Lichtinstallation wandert über eine Wand. Es riecht etwas ungelüftet, das könnte abgestandener Zigarettenrauch sein.  Aber vielleicht liegt das auch einfach nur an der Auslegeware, die in diesem riesigen Raum den ganzen Boden bedeckt. Habe ich mir das nur eingebildet? Nein, ich glaube, es ist ein Veloursteppich von indifferenter Farbe. Aber eigentlich ist es tatsächlich zu dunkel, um irgendetwas genau zu erkennen.

Goldneun_Lobby

Dann kommt ein Mann und begrüsst uns sehr herzlich. Die Jacken werden uns abgenommen und auf einen Kleiderständer in einer noch dunkleren Nische gehängt. Ich fühle mich schrecklich spießig weil ich kurz überlege, ob jemand eventuell aus dem Dunkel dieses riesigen Raumes auftauchen und meine Jacke klauen wird. Aber hey – ich bin ein großes Mädchen aus einer (anderen) großen Stadt und glaube jetzt einfach mal daran, dass alles gut wird.

Wir betreten durch eine Tür den eigentlichen Gastraum. Die Atmosphäre wechselt schlagartig. Die Längsseite des Raumes besteht nur aus Fenstern und gibt den Blick auf ein gutes Stück Berlin und der Funkturm frei. Ein riesiger (mit Absicht) zerschmetterter Spiegel hängt an der kurzen Seiten des Raumes. Eine Dame in Öl und Rahmen an der anderen. Kugellampen spenden sehr dezentes Licht. Man sitzt an weiß gedeckten Tischchen auf roten 70er-Jahre Plastikstühlen.

Goldneun_Gastraum

Wir setzen uns. Das Restaurant ist gut besucht. Die Leute um uns herum sind enstpannt, guter Stimmung, unterhalten sich und lachen dann und wann laut. Doch,  es ist sehr nett hier und gefällt mir. Entspannt lehne ich mich zurück und geniesse den Blick und das Treiben um uns herum. Die Karte mit regional/saisonalem Einschlag kommt und wir wählen unser Menü.

Goldneun_Speisekarte

IRRITATION NO. 2
Frischer Jungsalat | Essentielle Kräuter | Getrockneter Pumpernickel | Apfel Boskop, frisch
Der Salat ist gut, das Dressing superlecker und durch die Kräuter sehr frisch. Der Apfel funktioniert prima dazu. Alles ist sehr erfreulich, bis ich herzhaft auf den getrockneten Pumpernickel beisse. Ach Du meine Güte! Kurz überlege ich, ob mir ein Stück Zahn abgebrochen ist. Ich kaue vorsichtig weiter. Durch den Trocknungsprozess ist der Pumpernickel zu kleinen, schrotartigen Krümelchen geworden, die keinen besonderen Eigengeschmack mehr haben. Dafür aber eine … ähhhh … starke Präsenz im Salat. Da der Pumpernickel im ganzen Salat verteilt ist und ich nicht Gefahr laufen will, heute Nacht noch einen Zahnarzt aufsuchen zu müssen, nehme ich die Vorspeise sehr bewusst zu mir. Lecker – aber sonderbar.

Goldneun_Vorspeise

IRRITATION Nr. 3
Ruppiner Weidelamm | Rücken, Leber | Fenchel in Varianten | Butterkarotte
Der Teller ist hübsch angerichtet. Der Lammrücken überrascht allerdings, denn er kommt mehr als bleu. Bei Rind habe ich damit in der Regel kein Problem, fast rohes Lamm hingegen lässt mich kurz zögern. Ich wage mich an die Leber, finde sie aber zu streng. Das Fenchelpüree mit bissfesten Fenchelstückchen ist recht ausdrucksvoll. Die Butterkarotte ist eine Butterkarotte. Eigentlich ein schön aussehender Teller, der wieder mit einer Kuriosität aus dem sonst gewohnten (und erwarteten) Geschmackserlebnis reisst. Aber ich beginne mich langsam daran zu gewöhnen.

Goldneun_Hauptgang

IRRITATION NO. 4
Kirsche, Topfen und Pumpernickel | souffliert, geräuchert und gefroren
Ein kleines gebackenes Käseküchlein, Kirsch-Sorbet und konzentrierte, unglaublich fruchtige Kirschsoße geben ein wirklich leckeres Trio ab. Und dann haben wir da wieder den Salat: die Kirschsphäre (außen Gelee, innen flüssig) ist geräuchert. Das Ausmaß kann natürlich niemand erahnen. Mir ist, als ob ich nach all den vertrauten Süßigkeiten plötzlich angefangen hätte, einen Grill auszulecken. Das stört mich nun wirklich. Ich hab genug von diesen geschmacklichen Herausforderungen. Fast bin ich erleichtert, als der Espresso nach dem Essen einfach nur ein schnöder Espresso ist.

Goldneun_Nachspeise2

Ich freue mich aber sehr darüber, dass wir einen Blick in die Küche werfen dürfen. Wir treffen hier auf die hochkonzentriert arbeitende, sehr nette Mannschaft, die hingebungsvoll vor sich hin werkelt und Teller anrichtet. Prompt bekomme ich ein schlechtes Gewissen, dass ich die eine oder andere Komponente nicht zu goutieren wusste. Irgendwie spürt man, dass hier ein Konzept am Start ist, dass vielleicht einfach ein bißchen die Konventionen brechen will. Dafür sorgen Experimente mit Trockengerät, Räucherofen und Essenzen von allen möglichen und unmöglichen Dingen. Zu harmonisch soll es wohl nicht werden. Einfach sehr Berlin.

Goldneun_Kueche3

 

Goldneun_Küche2

 

 

Goldneun_Kueche1

UND DANACH
Prachtvoll! Wenn man mit dem Essen fertig ist, steht man vom Tisch auf und spaziert einfach durch eine weitere Tür in den loungigen Bar-Bereich. Auch hier wird deutlich, dass die Jungs und Mädels in der Küche gern experimentieren. Einige der Drinks werden mit selbst gewonnenen, ungewöhnlichen Essenzen zubereitet. Und hier habe ich jetzt wirklich keine Einwände mehr – das ist uneingeschränkt lecker! Der DJ legt großartige Musik auf, durch die riesigen Fenster winken der Funkturm Fernsehturm (Na!) und die nächtliche Stadt. Hier kann man durchaus einen Abend und die ganze Nacht verbringen. Und auf einmal machen auch die Tischtennisplatten richtig Sinn. Hat jemand Lust auf ein Match?

Goldneun_Bar2Goldneun_Bar

Und noch ein Gruß an den Gastgeber: Liebes Team von Vöslauer, vielen Dank für den Abend und das irritierend gute Erlebnis. Vöslauer ist das offzielle Mineralwasser und Sponsor der Mercedes Benz Fashion Week.

IRRITIEREND GUT.

UPDATE: DAS RESTAURANT WURDE IM JULI  2013 LEIDER GESCHLOSSEN.
GOLDNEUN
Bar & Restaurant
Karl-Liebknecht-Straße 9
10178 Berlin