DIven mit blassem Alltag #gourmetguerilla #frauenbild

Sind wir alle Diven mit blassem Alltag?

DIven mit blassem Alltag #gourmetguerilla #frauenbildManchmal hat man ja solche Momente: Da hört oder liest man einen bestimmten Satz und kommt einfach nicht mehr davon los. So rein gedanklich. Und je länger man diesen einzelnen Satz in sich bewegt und von links nach rechts sortiert, desto weniger ist er bereit, still und bescheiden in den Gleichgültigkeits-Hirnwindungen zu versickern. Nein, er wird immer stärker, plustert sich auf und verlangt hartnäckig nach Aufmerksamkeit. So geschah es mir heute mit der Pressemitteilung eines Schokoladenherstellers, die elektronisch in mein Postfach flatterte. Da gab es diesen einen Satz, der sich festsetzte:

„Diva für einen Tag. Für alle Frauen, die sich nach einem Moment sehnen, in dem der Alltag verblasst, gibt es die neue Schokoladen-Kollektion.”

Aha, dachte ich, bevor ich mich wieder hingebungsvoll meinem Broterwerb widmete. Doch der Schokoladen-Satz kam wieder. Und wieder. Und rumorte. Huch, dachte ich plötzlich und saß senkrecht. Sehen mich so etwa die Schokoladen-Hersteller dieser Welt? Wurde da vielleicht aufwendige Marktforschung betrieben, bei der herauskam, dass der Großteil der deutschen Frauen einen schrecklichen Alltag hat und deshalb eigentlich ständig nur auf der Flucht vor der Realität ist? Kann das sein? Ja, nennt mich ruhig wortklauberisch oder kleinlich. Vielleicht ist das ja auch auf den aktuellen Hormonstatus zurückzuführen (um direkt mal bei den Frauenfragen zu bleiben) – aber dieser Satz machte mich rebellisch.

Ich finde meinen Alltag unaufgeregt, anstrengend, toll, soso lala, spaßig, normal, aufwühlend, total blöd, gin-tonic-verdächtig oder auch wunderbar. So wie der Alltag sich wahrscheinlich für so ziemlich jedem Menschen da draussen gestaltet. Natürlich bin ich ab und zu auch total genervt und habe Auswanderungsfantasien. Mindestens. Aber treibt uns das wirklich ständig zu dem Wunsch, sich aschenputtelesk per Taube, Zaubernuss oder anderem Hilfsmittel in jemand anderes verwandeln – weil dann alles besser ist und die graue, trübe Tristesse unseres alltäglichen Lebens zumindest für einen winzig kleinen Moment verschwindet? Sehnen wir uns für eine Pralinenlänge danach, wie Phönix aus der Herdasche aufzusteigen und kurz das Diadem zurechtzurücken? Eventuell käme dann ja auch noch ein Prinz der Bachelor auf einem weißen Pferd vorbei?

Ohne mich jetzt zu sehr in Richtung des feministischen Kampfes von Alice Schwarzer begeben zu wollen (ich vertrete den postfeministischen Ansatz): Was ist denn das für ein Frauenbild? Das ist doch genau die Situation, die uns bereits in der zweiten Staffel von Mad Men so unheimlich beklommen zurückgelassen hat und außerdem unwillkürlich an das sprichwörtliche Stück von den Rolling Stones denken lässt. Ich dachte, wir hätten als selbstbestimmte Frauen und Männer die Alltagsbeklemmung der 60er weit hinter uns gelassen. Oder etwa doch nicht?

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Manchen Dingen muss man einfach auf den Grund gehen. Es geht nicht anders. Deshalb habe ich per E-Mail bei der Schokoladenfirma nachgefragt: Frauen möchten, dass der Alltag verblasst und nehmen deswegen Pralinen zu sich?

Die Antwort kam postwendend: Man solle den Text nicht so ernst nehmen. Gemeint sei vielmehr, dass man sich auch im Alltag ein wenig Glamour gönnen soll – das gelte ja für alle Frauen, die Spaß an Mode, Luxus und schönen Dingen haben.

Na dann ist ja gut. Ähm, wurde ich gerade tatsächlich kommunikativ im Nullkommanix von dem Status einer frustrierten Tante mit Alltagsflucht-Sehnsüchten zu einer aufgeschlossenen Luxusschnitte befördert, die sich in ihrem spaßorientierten Alltag schnell noch ein extra Extra-Stückchen Glamour gönnt? Und macht mich dieses Bild jetzt glücklicher?

Nein, ich passe heute irgendwie nicht geschmeidig zwischen die Laken in die Zielgruppen-Cluster. Ich bin störrisch. Aber zum Glück hatte die Schokoladenfirma da direkt noch einen guten Ratschlag für mich: Einfach zurücklehnen, eine Praline genießen und abwarten, was passiert.

Ob ich so dann doch noch meine Satz-Sinnkrise löse und zu meiner wahren Weiblichkeit finde? Naja. Immerhin weiß ich ja, dass richtige Diven mit stinkigen Socken schmeißen und Snickers essen. In diesem Sinne.

Einen angenehmen, nicht zu blassen Alltag.