DER WEIN UND DER WIND

{Kino- Tipp} Der Wein und der Wind.

An einem sonnigen Freitag vor zwei Wochen: Ich sitze zusammen mit fünf anderen Zuschauern im großen Kinosaal des Programmkinos Abaton. Kurioserweise ist es 10 Uhr morgens. Draussen toben Schulklassen lautstark über den Gang und bestellen an der alten Bartheke große Colas und Popcorn.

Der geduldige Mann hinter dem Tresen erklärt ungefähr drölfzigtausen Mal, dass das hier „nicht so ein Kino“ ist und die größte Cola in der 0,33-Flasche serviert wird. Popcorn gibt´s übrigens gar nicht. Das ganze hat bei einer der anwesenden intellektuell wirkenden Damen vorhin schon bedenkliche Blicke ausgelöst – wollen diese Kinder etwa mit uns zusammen den Film gucken?! Ich fänd´s ja lustig. Aber nee, die haben die Schülervorstellung getrennt von uns in der oberen Etage. Erleichterung wird ausgedrückt und die Brille mit dem roten Perlenelement gerade gerückt.

Immerhin sind wir hier nicht zum reinen Vergnügen – der Filmverleih des neuen französischen Films „Der Wein und der Wind“ hat zur Pressevorstellung geladen. Und außer mir sind fünf Journalisten der Einladung gefolgt. Wir sitzen weit von einander entfernt in dem großen Kinosaal verstreut. Deutsche Platzwahl halt. Dann wird es dunkel.

„Der Wein und der Wind“ – ein Film über Familie, Elternsein, Kindsein und die Liebe zum Wein

Ein kleines Weingut im Burgund. Gerade erwachsen geworden, überwirft sich der lebenshungrige Jean mit seinem Vater – er verlässt das Gut der Familie und setzt sich ins Ausland ab. Der ewig gleiche Rhythmus des Weinanbaus und der Lese, die Verantwortung für seine beiden jüngeren Geschwister und die intensiven Bemühungen der Eltern, die Kinder auf das Geschäft mit dem Wein vorzubereiten, hängt ihm einfach nur noch zum Hals heraus. Er will weg aus der Einöde, will leben, sich selbst finden, dem übermächtigen Thema Wein entkommen.

10 Jahre später. Jean kehrt zurück. Die Mutter ist vor Jahren verstorben, dem Vater geht es gesundheitlich ziemlich schlecht. Als auch der kurz darauf stirbt, bleiben die drei Geschwister allein zurück. Jedes mit seinen eigenen Gefühlen,  Erinnerungen, Herausforderungen und Vorstellungen für die Zukunft – aber gleichzeitig verbunden durch die plötzliche gemeinsame Verantwortung für das Weingut. Jean hat seinen Geschwistern außerdem noch nicht wirklich alles erzählt, was in den letzten 10 Jahren bei ihm so los war. Juliette kämpft mit ihrer Rolle als weibliche Winzerin und Jérémie hat mit seinen total übergriffigen Schwiegereltern alle Hände voll zu tun. Wie soll es nun weitergehen?

Mit seiner unaufdringlichen aber gleichzeitig intensiven Inszenierung nimmt „Der Wein und der Wind“ mich unmittelbar mit auf die Reise. Man kommt den Charakteren immer näher, fühlt sich fast als Freund und stiller Beobachter, der die drei in einem Lebensabschnitt begleitet. Zwischen dem Wunsch nach Ablösung und Individualität, ganz normalen Alltagsproblemen, der Sehnsucht nach den gemeinsamen Wurzeln der Familie und der Liebe zum Wein suchen die drei einen Weg. Jeder für sich und doch alle gemeinsam. Dabei wird gefeiert, geweint, geliebt, verletzt, gelacht und gearbeitet. Und natürlich eine Menge köstlicher Wein getrunken.

„Der Wein und der Wind“ ist ein authentischer, positiver und zugleich rührender Film über Familiesein, Elternsein, Kindsein und das Erwachsenwerden (auch wenn man eigentlich schon erwachsen ist). Hin und wieder fast schon dokumentarisch wirkend, entwickeln sich die involvierende Geschichte und die Charaktere. Ganz nebenbei erfährt man außerdem spannende Details über die Arbeit mit Wein. Und verdrückt eventuell auch das eine oder andere Tränchen. Zum Schluss verlässt man das Kino mit dem dringenden Gefühl, dass man seine liebsten Menschen mal ganz schnell in den Arm nehmen muss. Und dass das Leben trotz aller blöden Irrungen und Wirrungen doch ziemlich toll ist. Gleich anschließend stratzt man dann in den nächsten Supermarkt und kauft eine schöne Flasche Burgunder für den Abend.

Absolut sehenswert und ab 10. August 2017 im Kino.

Empfehlung: Ich habe den Film im französischen Original mit deutschen Untertiteln gesehen. Selbst wenn man kein Französisch spricht (so wie ich) geht das ganz wunderbar und vermittelt eine tolle Extra-Portion Flair. Also: unbedingt die Originalfassung schauen! Hier der Trailer in der deutschen Synchronfassung:

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