Unsere digitale Zwangsentschleunigung. Oder – Tausche Internet gegen Käsebrot | GourmetGuerilla.de

{Personal Files} Unsere digitale Zwangsentschleunigung. Oder: Tausche Internet gegen Käsebrot.

„Ja.“ – „Ja.“ – „Nein.“ – „Nein.“ – – – „Neiiiiiiiin.“ – „NEIN!“ Der Mann sitzt am Schreibtisch und hält das Telefon in der Hand. Die andere liegt zur Faust geballt auf der Schreibtischplatte. Und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, seine Nackenhaare sehen irgendwie gesträubt aus. Ich stehe unbemerkt mit zwei dampfenden Kaffeetassen in seiner Bürotür. Die geballte Faust saust mit Schwung auf die Schreibtischplatte. WUMMS! „Mitarbeiter!“ – „MITARBEITER!!!“ Der Mann brüllt jetzt ins Handy. Dann wirft er das Dingen fluchend in die Ecke (Gott sei Dank landet es unbeabsichtigt auf etwas Weichem) und springt auf. „Verdammt!!!“ Es folgen noch ein paar interessante Ergänzungen, die ich dem geneigten Leser an dieser Stelle besser erspare. Er schaut mich an.

Ich mache mit meinen beiden randvollen Kaffeetassen in den Händen ein paar aufmunternde Kleinstbewegungen und gehe schon mal ins Wohnzimmer. Er wird nachkommen, wenn er so weit ist.

Wir sind vor ein paar Tagen aus dem Urlaub zurückgekommen. Und hatten die wunderbare Situation, nicht sofort wieder komplett in die Jobs springen zu müssen. Mit dem Kind zusammen haben wir die letzten Ferientage mit Schwimmbad, Filmen und Übernachtungsbesuch aus Berlin verdümpelt. Ein letzter kleiner gemeinsamer Zeitpuffer, bevor alles wieder seinen geregelten und getakteten Gang gehen würde … Jobs, Schule, Sporttraining – das Übliche. Das ganze haben wir sogar fast ohne schlechtes Gewissen hingekriegt, denn wir wussten: Am Mittwoch steigen wir wieder hart ins Business ein, da warten viele Aufgaben auf uns.

Pünktlich am Mittwochmorgen war das Internet weg.

Für zwei Leutchen, die ihre Brötchen fast zu 100% mit digitalen Themen verdienen, ist das ein kleines Zucken wert. Aber im Grunde auch kein riesiges Problem. Sowas kommt ja schon mal kurzzeitig vor. Am Nachmittag war das Internet immer noch weg. Und es wollte sich auch partout am Abend nicht wieder einstellen. Natürlich leitete der fachkundigste Mann von allen sofort die nötigen Maßnahmen der Selbstdiagnose ein. Aber es kam einfach kein Signal aus der Leitung. Null. Nada. Nix. Das Internet blieb weg.

Also die Hotline des Anbieters. Ein Mal. Zwei Mal. Drei Mal. Computer, die nicht verstehen. Mitarbeiter mit dem üblichen Einwandbehandlungs-Skript. Instruktionen, unter Anleitung Boxen ab- und wieder anzuschrauben. Schwammige Vertröstungen. Service-Tickets, die in einer Leitung in Berlin (oder auf dem Mond) unbearbeitet vor sich hingammeln. Und dann irgendwann die Faust des Mannes auf dem Tisch. Nach fünf Tagen: kein Internet.

Das Internet ist weg – aber das Universum hat uns unverhofft mehr Zeit zu zweit geschenkt. Durch die Konzentration auf die wichtigsten und absolut notwendigen Dinge per Handy-Hotspot haben sich Zeitfensterchen aufgetan, die wir verwundert und erfreut nutzen: Vormittags entspannt im Baumarkt, zusammen Mittagessen, ein kleiner Spaziergang im Park, ein Abstecher zum Spirituosen-Fachhändler in der Schanze und gleich danach zum spanischen Großhändler eine Straße weiter. Und dann am Abend zusammen auf der Couch abhängen. Es lebe die Zwangsentschleunigung!

Und genau davon kann der Mann mit akuter Hotline-Frustration jetzt sicherlich noch eine Extra-Dosis gebrauchen. Der Kaffee ist inzwischen kalt. Ich wackele in die Küche und mache ein paar feiste Käsestullen. Mit dem guten Käse. Die Flasche Rotwein und zwei Gläser müssen auch noch mit. Die Couch kriegt noch schnell zwei Extra-Kissen verpasst und die alte DVD mit dem Kaminfeuer für den Fernseher ist in weniger als acht Minuten aus irgendeiner Kruschel-Box gefunden. YAY! Irgendwo muss doch auch die Fernbedienung für den Player sein …? – Zwei Minuten später knistert und knackt es heimelig im Wohnzimmer.

Der Mann biegt um die Ecke.„Die sind sooo doof!!!“ Ich drücke im die größte Käsestulle der Welt und ein Glas Rotwein in die Hand.  „Ich weiß“, sage ich. Und dann sagen wir nichts mehr, sitzen auf der Couch, mümmeln unsere Brote, trinken ein Schlückchen und gleiten in den Abend. Das Kaminfeuer lodert.

Das Internet wird schon wiederkommen. Irgendwann.