Die Dimensionen von Sattheit #gourmetguerilla

Die Dimensionen von Sattheit. Und warum wir häufig einfach nicht satt werden.

Satt sein ist großartig. Satt sein ist das Gegenteil von hungrig sein. Satt sein ist – wenn es gut läuft – essenzieller Bestandteil unseres Lebens. Der Großteil der Menschen auf unserem Kontinent ist in der wunderbaren Situation, nur selten Hunger verspüren zu müssen (und das meistens auch nicht länger als 30 Minuten). Somit müsste doch eigentlich alles in Butter sein? Leider nein.

Das Sattsein beschäftig uns erstaunlich stark, denn es hat einen immer weiter zunehmenden, unangenehmen Beigeschmack: Sättigung ist die kleine Schwester von Disziplinlosigkeit, Übergewicht und Unattraktivität. Sattheit landet schnell auf den Hüften und verursacht uns Schuldgefühle. Sattsein ist vom Prinzip her gut, aber in der Umsetzung böse. Der Generalverdacht: Wir sind alle zu häufig zu satt und haben den natürlichen Bezug zu unseren natürlichen Körpersignalen verloren.

Unter dem Vergrößerungsglas unterscheiden wir deshalb feinziseliert diverse Sättigungsstufen: die leichte Sättigung, die normale Sättigung und die Übersättigung. Wahrscheinlich gibt es da auch noch diverse Zwischenstufen, die mit gerade nicht einfallen. Wir werden aufgefordert, den Sättigungsprozess während unserer Mahlzeit penibel zu überwachen und beim kleinsten Anzeichen, dass unser Verdauungsorgan ausreichend befüllt ist, Messer und Gabel niederzulegen.

Überhaupt steht der methodisch-physikalische Aspekt von Sattheit, nämlich ein spezifisches Organ nach funktionalen Regeln richtig zu befüllen, bei unserer Ernährung zunehmend im Vordergrund. Es wird uns von etablierten Ernährungsprogrammen, von Frauenzeitschriften, Gewichtsbeobachtern, Ernährungsberatern und irgendwie auch von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung immer wieder gesagt: „Wählen Sie Lebensmittel, die länger und besser satt machen. Greifen Sie deshalb immer und unbedingt zu der Vollkorn-Variante. Meiden Sie Wurst und Käse auf ihrem Brot – belegen Sie es stattdessen mit viel Salat und rohem Gemüse. Das macht auch satt und spart Kalorien.” Außerdem sollte man jeden Bissen 30 Mal kauen und nach jedem fünften Happs unbedingt Wasser trinken. So ist man schneller satt.

Aber können wir – wie die Hamburger Morgenpost es zum Beispiel letzten Samstag wieder so frisch und fromm von einer Ernährungsexpertin empfehlen ließ – von einem Salat ohne Schafkäse aus dem Kühltresen der Kantine mit etwas fettarmem Balsamicodressing wirklich satt sein? Auch wenn wir dabei jede Gabel 30 Mal gekaut und reichlich Wasser zu uns genommen haben? Funktional vielleicht ja – es ist ja immerhin etwas im Magen. Und vermutlich enthält es wenig Salz, Fett und schlimme Zusatzstoffe. Aber emotionell?

Wir müssen da gar nicht lange überlegen: Jeder von uns kennt die Antwort sehr gut. Die Abkopplung der Sinne von unserem Essen und die Fokussierung auf physikalische Befüllung lässt uns vielleicht satt, aber unbedingt unzufrieden zurück. Unser Kopf weiß: Wir haben hier gerade etwas gemäß den Empfehlungen getan – das ist richtig. Aber unser Belohnungszentrum im Gehirn lässt sich in dieser Sache einfach nicht behumpsen.

Um richtig satt zu sein, benötigen wir zu der mengenmäßigen Befüllung unseres Verdauungstraktes eine ganz wichtige Komponente: die Befriedigung unserer Sinne. Der Geruch eines Essens, der Geschmack, die Farben, die Optik, die Konsistenz, die Temperatur – all diese Dinge tragen dazu bei, dass wir uns nach einem Essen satt und befriedigt fühlen. Hat jemand schon mal an einem kalten Salat gerochen, der größtenteils aus geheckseltem Eisbergklon besteht und mit wenig fettarmem Balsamicodressing beträufelt ist? Eben. Niemand auf der Welt kann uns einreden, dass das die Erfüllung all unserer essens-sinnlichen Bedürfnisse ist. Vor allem nicht, wenn wir das ganze auch noch 30 Mal kauen.

Lasst uns auf unsere natürlichen Körpersingale hören und akzeptieren, das Rohkost,  fettarme Dressings, Putenfleisch und Vollkornnudeln nicht das Maß aller Dinge sind. Dass wir langfristig nicht schlanker und nicht glücklicher werden, wenn wir unsere Sinne verleugnen. Im Gegenteil.

Lasst uns schöne Dinge kochen, die uns schmecken, erfreuen, überraschen und erfüllen! Dann sind wir auch (schneller) satt.

Danke.