Mama-Monster

Schicksalsjahre einer Mutter. Oder: Ich mutiere zum 1000äugigen Mama-Monster.

Mama-MonsterIch habe das wirklich nicht kommen sehen, als ich damals mit dickem Bauch als weißer Wal auf der Couch dümpelte. Und in der Pampers-Werbung wurde das rein zufällig auch nie erwähnt. Aber die Mutterschaft ist gefährlich, denn sie macht einen äußerst anfällig für Parasiten. Man wird mit den Jahren immer empfänglicher für fremde Wesen, die es sich im mütterlichen Körper sehr bequem machen. Ich bin zum Beispiel in der letzten Zeit von einem 1000äugigen Mama-Monster besessen. Es greift immer mehr in meine Persönlichkeit ein und lässt mich zu etwas Spießigem, Spaßbefreitem, Unsymphatischem mutieren.

„Mach den Mund zu beim Kauen. Sitz gerade. Schaufel das Essen nicht so in dich rein. Leck den Teller nicht ab. Wisch die Hände nicht an deinem T-Shirt ab. Kratz nicht so mit dem Messer über den Teller. Trink Dein Glas nicht in einem Zug leer. Nimm die Finger aus dem Ketchup. Hör auf, die Marmelade mit dem Fuß in den Teppich einzureiben. Wasch dir die Hände. Wasch dir schon wieder die Hände”, sagt das Mama-Monster aus meinem Mund.

Das geht endlos so weiter. Da entgeht nicht die kleinste Kleinigkeit. So wollte ich niemals sein.

Das in mir wohnende 1000äugige Mama-Monster sorgt dafür, dass ruhige Essen sehr rar werden. Sobald das 8jährige am Tisch sitzt, lässt es mich nicht mehr zu Ruhe kommen. Ich bin on duty.

Das 1000äugige Mama-Monster flüstert mir ein, dass ich schlechtes Benehmen bei Tisch nicht durchgehen lassen kann. Dummerweise macht es mir überhaupt keinen Spaß, wenn das Monster von mir Besitz ergreift. Denn das kostet wahnsinnig viel Kraft und Nerven. Aber das Kleine soll ja mal ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft werden. Und was Hänschen nicht lernt … . Wir alle wissen, wie das ausgeht, wenn man das wild wuchernde Pflänzlein nicht fest an ein Rankgitter bindet. Und überhaupt – was sollen eigentlich die anderen Leute denken? Trotzdem – ich will doch nicht dauern das Frollein Rottenmeier geben.

„Das Kind ist nicht dein Freund”, sagt das Monster. Und damit hat es eindeutig recht. Allerdings gefalle ich mir in der Rolle der maßregelnden Mutter trotzdem leider überhaupt nicht. Aber ich muss wohl da durch. Denn ich habe die Verantwortung übernommen, dieses kleine Wesen mit der Welt vertraut zu machen und ihm einen Weg zu ebnen, den er möglichst leichtfüßig beschreiten kann. Nicht laut schlürfen, Naseputzen, andere ausreden lassen und Händewaschen gehören eindeutig dazu. Ach, ach.

Doch letztens habe ich mich erfolgreich gegen das Biest aufgelehnt. Das Monster tobte und wütete in meinem Inneren, als das Kind mit seinem Strohhalm riesige Blubberblasen in seine Wochenend-Fanta machte. Im Restaurant. Und als der Kleine merkte, dass ich nicht sofort etwas dagegen unternehmen würde, blubberte es noch lauter und ausführlicher. Bis kein Fatz Kohlensäure mehr in dem schreiendgelben Getränk war. Und dann schlürfte er das Glas mit unglaublich schnorchelnden Geräuschen bis auf das allerletzte Tröpfen leer. „Alle!”, rief das Kind, knallte das Glas auf den Tisch und schoss einen saftigen Rülpser hinterher. Das 1000äugige Mama-Monster war außer sich, bäumte sich auf, kreischte schrill und zwickte und zwackte mich. Ich meditierte über der Speisekarte. Ich hypnotisierte die Speisekarte. Die Speisekarte hypnotisierte mich. „Ha!, noch kann ich mich wehren. Siehst du, Monster? Du hast keine Macht über mich!” Etappensieg.

Das 1000äugige Mama-Monster brummte missgelaunt, rollte sich in meinem Inneren frustriert zusammen, schloss 999 Augen und fiel in einen Halbschlaf. Aber mit einem offenen Auge hält es weiterhin Wache, bereit jederzeit wieder aufzuspringen.

„Schatz, bitte hör auf, aus vollem Hals VMCA von den Minions zu singen. Die Leute am Nebentisch wollten sich auch ein bisschen unterhalten …”.

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